| Aktenzeichen: | S 7 AL 327/05 | Datum der Entscheidung: | 12.03.08 | Tenor: | Der Grundantrag auf Erstattung von Bewerbungs- oder Reisekosten umfasst auch die jeweils andere, nicht ausdrücklich beantragte unterstützende Leistung der Beratung und Vermittlung im Sinne von § 45 SGB III. | Gericht: | Sozialgericht | Gerichtort: | Augsburg | Schlagworte: | Bewerbungskosten, Reisekosten | Volltext: | URTEIL
in dem Rechtsstreit
...
- Kläger -
Proz.Bev.: ...
gegen
Bundesagentur für Arbeit, vertreten durch das vorsitzende Mitglied der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Augsburg, rg, Wertachstr. 28, 86153 Augsburg
- Beklagte -
Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit
Die 7. Kammer des Sozialgerichts Augsburg hat auf die mündliche Verhandlung in Augsburg am 12. März 2008 ... für Recht erkannt
I. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 26. Januar 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2005 verurteilt, den Antrag der Klägerin auf Reisekosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Il. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung von Reisekosten für Fahrten zu Vorstellungsgesprächen in Höhe von 96,80 € streitig.
Die 1981 geborene Klägerin stand bei der Beklagten im Leistungsbezug. Sie beantragte am 12.07.2004 zunächst telefonisch, formlos die Bewilligung von Bewerbungskosten. Am 25.01.2005 ging bei der Beklagten dann der schriftliche Antrag unter Verwendung des Formblattes der Beklagten auf Bewilligung von Bewerbungskosten ein. Außerdem beantragte die Klägerin am 25.01.2005 die Übernahme von Reisekosten für drei Vorstellungsgespräche vom 07.01.2005, 11.01.2005 und 20.01.2005. Mit Bescheid vom 26.01.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin Bewerbungskosten in Höhe von 85,00 E.
Nach Widerspruchseinlegung durch die Klägerin begründete die Beklagte ihre Entscheidung zu den Kosten für die Erstellung und Versendung von Bewerbungsunterlagen sowie zu den allein hier streitgegenständlichen Reisekosten. Die Reisekosten seien nicht zu erstatten, da Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht würden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden seien. Es gelte der Grundsatz „Antrag vor Leistung". Die beiden Leistungsarten Bewerbungskosten und Reisekosten seien getrennt zu betrachten, worauf im Merkblatt hingewiesen worden sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die am 08.06.2005 zum Sozialgericht erhobene Klage. Zur Begründung lässt die Klägerin vortragen: Es sei ihr wegen der kurzfristigen Anberaumung der Vorstellungstermine nicht möglich gewesen, vorher einen Antrag auf Erstattung von Reisekosten bei der Beklagten zu stellen. Auch sei weder aus dem Merkblatt der Beklagten noch aus den Veröffentlichungen der Beklagten auf ihren Internetseiten ersichtlich, dass zwei getrennte Anträge für Bewerbungskosten einerseits und Reisekosten andererseits zu stellen seien. Sie habe den Antrag am 12.07.2004 in der Annahme gestellt, dass damit sowohl die Bewerbungs- als auch die Reisekosten abgerechnet werden können. Auch ergebe sich aus § 6 der für die Beklagte verbindlichen Geschäftsanweisung, dass die einmal erfolgte Antragstellung für alle bis zur Aufnahme einer Beschäftigung entstehenden Aufwendungen für Bewerbungen oder Fahrten wirksam bleibe.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 zu verurteilen, den Antrag der Klägerin auf Reisekosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, hilfsweise beantragt er die Berufung zuzulassen.
Der Beklagtenvertreter beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bleibt bei ihrer Auffassung aus dem Widerspruchsverfahren. Bei der Entscheidung über den Antrag der Klägerin sei getrennt über Bewerbungs- und Reisekosten zu entscheiden. Dabei sei das Erfordernis der rechtzeitigen Antragstellung nur für die Bewerbungskosten anerkannt worden, nicht jedoch für die Reisekosten. Sie verweist auf ihre ergänzenden Durchführungsanweisungen, wonach die Leistungsarten Bewerbungskosten einerseits und Reisekosten andererseits getrennt zu betrachten seien.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Erstattung von Reisekosten wegen verspäteter Antragstellung abgelehnt hat.
Gemäß § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in der ab 01.01.2003 geltenden Fassung können Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitssuchende sowie Ausbildungssuchende zur Beratung und Vermittlung unterstützende Leistungen erhalten, soweit der Arbeitgeber gleichartige Leistungen nicht oder voraussichtlich nicht erbringen wird. Als unterstützende Leistungen können Kosten für die Erstellung und Versendung von Bewerbungsunterlagen (Bewerbungskosten; § 45 Satz 2 Nr. 1 SGB III) sowie im Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung, Vermittlung, Eignungsfeststellung und zu Vorstellungsgesprächen (Reisekosten; § 45 Satz 2 Nr. 2 SGB III) übernommen werden. Nach § 46 Abs. 1 SGB III können Bewerbungskosten bis zu einem Betrag von 260,00 € übernommen werden. Als Reisekosten können die berücksichtigungsfähigen Fahrtkosten übernommen werden (§ 46 Abs. 2 Satz 1 SGB III).
Da die Leistungen zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung nach § 45 SGB III Arbeitsförderungsleistungen im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 SGB III darstellen, werden sie nur auf Antrag gewährt (§ 323 Abs. 1 Satz 1 SGB III), der gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III grundsätzlich vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses zu stellen ist.
Die Bundesagentur hat von der Ermächtigung in § 47 SGB III zum Erlass einer Anordnung Gebrauch gemacht und das Nähere über Voraussetzungen, Art, Umfang und Verfahren sowie der Pauschalierung in der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung (Anordnung UBV) vom 10.04.2003 (ANBA 2003, 731) geregelt.
Nach der Regelung in § 6 Anordnung UBV im 3. Abschnitt – Gemeinsame Vorschriften und Verfahren – ist die einmal erfolgte Antragstellung bis zur Aufnahme einer Beschäftigung, Berufsausbildung oder der Einstellung der Vermittlungsbemühungen wirksam, sodass für alle bis dahin entstehenden Aufwendungen für Bewerbungen oder für Fahrten im Sinne des § 45 SGB III damit die Voraussetzungen des § 324 Abs. 1 SGB III erfüllt sind.
In dem unstreitig von der Klägerin am 12.07.2004 gestellten Antrag auf Erstattung von Bewerbungskosten ist auch der Antrag auf Erstattung von Reisekosten enthalten, sodass keine verspätete Antragstellung vorliegt. Im Aktenvermerk des Sachbearbeiters des Service-Centers der Beklagten ist zu dem Anruf der Klägerin am 12.07.2004 festgehalten: „Benötigt Antrag auf Bewerbungskosten...". Als Willenserklärung ist ein unklar gestellter Antrag auszulegen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch BGB -). Unerheblich ist dabei grundsätzlich, welchen Antragsvordruck der Antragsteller benutzt oder welchen (sprachlichen) Ausdruck er bei der Antragstellung gebraucht, sofern keine Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass nur die ausdrücklich bezeichnete Leistungsart beantragt wurde (vgl. BSG SozR 4100 § 100 Nr. 5 S. 11; Nieset, SGB III, 4. Aufl., § 323 RdNr. 7).
So ist bei der gebotenen Auslegung eines Antrages immer davon auszugehen, dass der Wille des Antragstellers in der Regel ganz allgemein dahin geht, eine Leistung aus „seiner Versicherung", und zwar die für ihn Günstigste zu erhalten, soweit dies im Einzelfall nicht mit sonstigen Nachteilen für ihn verbunden ist (Nieset, a.a.O.).
So hat beispielsweise ein eindeutig auf Leistungen für den Fall der Arbeitslosigkeit gerichteter Antrag neben Arbeitslosengeld auch Arbeitslosenhilfe umfasst (vgl. BSG SozR 4100 § 134 Nr. 3). Umgekehrt war ein Leistungsantrag, der als Antrag auf Arbeitslosenhilfe bezeichnet war, als Antrag auf Arbeitslosengeld aufzufassen, wenn die Voraussetzungen für diesen Anspruch gegeben waren und der Antrag nicht als Beschränkung auf die ausdrücklich genannte Leistungsart verstanden werden musste (vgl. BSG SozR 4100 § 100 Nr. 5).
Dieser Grundsatz der Meistbegünstigung, wie er aufgrund der gesetzgeberischen Wertung in § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) zum Ausdruck kommt, muss auch für die Beantragung von Leistungen nach § 45 SGB III gelten.
Die beiden Komponenten der in § 45 SGB III beschriebenen Leistungen - Bewerbungskosten und Reisekosten - sind eng verknüpft. Bewerbungen sind in der Regel notwendige Voraussetzung für Vorstellungsgespräche, in deren Zusammenhang dann ggf. Reisekosten entstehen. Hier sind keine Anhaltspunkte ersichtlich - und von der Beklagten auch nicht behauptet -, wonach die Klägerin ausdrücklich nur Bewerbungskosten im Sinne des § 45 Satz 2 Nr. 1 SGB III in dem Telefonat vom 12.07.2004 beantragt hat.
Wer sich wie die Klägerin bewirbt und hierfür Erstattung bei der Beklagten beantragt, der will auf die Erstattung von Reisekosten, die sich als Folge solcher Bewerbungen für die Fahrten zu Vorstellungsgesprächen ergeben, nicht verzichten.
Dieser Auslegung steht auch nicht § 6 Anordnung UBV entgegen. Die Vorschrift soll zu einer Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung führen. Dieser Intention wird die hier gewählte Interpretation, wonach in dem Grundantrag auf Bewerbungskosten auch ein solcher auf Reisekosten enthalten ist, gerecht.
Das in den Durchführungsanweisungen der Beklagten vorgesehene getrennte Antragserfordernis vermag an der hier vorgenommenen Auslegung nichts zu ändern.
Zunächst ist das Gericht an die Durchführungsanweisungen der Beklagten nicht gebunden. Im Übrigen ist es mit dem Gebot des § 2 Abs. 2 SGB I nicht vereinbar, die enge Verknüpfung zwischen Bewerbungs- und Reisekosten durch das Erfordernis einer getrennten Antragstellung aufzulösen (vgl. zum Ganzen Tobias Schlaeger, info also 2007, 99 f.).
Da im Antrag der Klägerin vom 12.07.2004 sowohl ein Antrag auf die Erstattung von Bewerbungskosten als auch auf die - damit zusammenhängenden - Reisekosten zu sehen ist, kann dahingestellt bleiben, ob und inwieweit ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch der Klägerin in Betracht kommen könnte, wenn eine verspätete Antragstellung anzunehmen wäre.
Da es sich bei der Erstattung von Reisekosten um eine Ermessensleistung handelt, war die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 26.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2005 zu verurteilen, über den Antrag der Klägerin auf Reisekosten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte wird die vorgenannten Erwägungen bei dem Erlass des neuen Bescheides zu berücksichtigen haben und im Rahmen einer Ermessensentscheidung über die Kostenerstattung zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bisher ist nicht geklärt, ob der Antrag auf Erstattung von Bewerbungskosten auch den Antrag auf Erstattung von Reisekosten enthalten kann, wenn die Erstattung von Reisekosten nicht ausdrücklich mitbeantragt wurde. |
|
|