ES WIRD ZEIT ZU GEHEN...

Emin Boztepe und die EWTO (Teil I)

Von D o k t o r H e f t i g

 

Emin Boztepe hat der EWTO, die sich so gern "größter professioneller Kampfkunstverband der Welt" nennen läßt, den Rücken gekehrt: jeder weiß es inzwischen, jeder hat sich angesichts der Meldung zumindest einmal verwundert die Augen gerieben, jeder verfolgte überdies die verbalen Bocksprünge, mit denen die Protagonisten dieses neuerlichen WT-Schmierenstücks von sich reden machten, mit der Mentalität des Mietshausbewohners, der sich lauschend an Türen und Wände lehnt, um Neuigkeiten zu erhaschen. Solche blieben denn erwartungsgemäß nicht aus: ein "internes Ausbilderrundschreiben", bevorzugten Sektenmitgliedern vorbehalten, die dem bärtigen Schloßherrn immer neue Seelen zuführen – ein für diese Mitglieder, eben die "Ausbilder", bestimmtes Rundschreiben geriet in unreine Hände, sein Inhalt wurde via Internet der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, vertrauliche Bekundungen und Erklärungen wurden einer allgemeinen Diskussion ausgesetzt.

Ehe wir die Indiskretion auf die Spitze treiben und uns erlauben, den geschwätzigen Text ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen, wollen wir nach dem Vorbild der Kondolenzrede daran erinnern, welche Position Boztepe über Jahre innerhalb der EWTO innehatte – wie aus dem Vorzeigekämpfer und Starathleten ein verlorener Sohn werden konnte, der im Gegensatz zur Figur des bekannten Gleichnisses gewiß nicht reumütig zurückkehren wird.

An sich ist an Ablösungsprozessen dieser Art nichts Besonderes. Namentlich die EWTO ist mit Kündigungswellen, wie sie möglicherweise jetzt wieder bevorstehen, stets spielend fertig geworden. Ihr einfaches Rezept: der Ausgetretene, den man "zu Lebzeiten" stets als "hochqualifizierten Lehrer" und "modernen Krieger" anpries und feierte, verliert nämlich durch seinen Austritt, der ja grundsätzlich aus einer simplen Erklärung und vielleicht noch der Rückgabe eines Papiers besteht, wie von einer Amnesie befallen ganz plötzlich alle seine Qualifikationen – der Kontrolle durch die "hohen Instanzen" (ein Schuft, wer angesichts solcher Wortwahl an freimaurerische Hierarchien denkt) entzogen, wird er in den trüben Gewässern seiner Irrtümer willenlos von Klippe zu Klippe geworfen. So geht das eben, wenn man seinen Mentor verrät, dem man die "zweite Geburt" verdankt – man sinkt in die Bedeutungslosigkeit zurück, aus der man kam. In eigenartiger Koinzidenz zum zeitlichen Gang der Ablösung entdeckten überdies die sich gegenseitig immer höher graduierenden "Großmeister" Leung Ting und Keith R. Kernspecht, sich als Seelenforscher betätigend, bei bisher noch jedem Austrittswilligen zahllose Schwächen insbesondere charakterlicher Art. Denn in purer Charakterschwäche wurzelt es selbstverständlich, wenn ein subalterner 5. oder 6. Praktikergrad vermeint, nach nur 25 Jahren Training ein so ausgeklügeltes System wie das WingTsun des Leung Ting, der nach eigener Auskunft immerhin neun Monate unterwiesen wurde, in seiner Gänze verstanden zu haben: es ist nichts als eine unselige Übersteigerung des Selbstwertgefühls. Einflüsse falscher Freunde sowie die unselige Sucht nach Geld und Ruhm tun ein übriges, aus einem hoffnungsvollen, aufstrebenden Repräsentanten der Wahren Lehre einen Abweichler zu machen, der die Stirn hat, zu seinen eigenen Lehrern in Konkurrenz zu treten.

Emin hatte man dies wahrlich nicht zugetraut.

Der junge, sportliche Türke machte sich 1986 einen Namen, als er sich mit einem fünfzigjährigen Asthmatiker ein Gerangel lieferte, dessen Videodokumentation auch nach hundertmaliger Betrachtung keinerlei Hinweise auf eine Kampfmethode eröffnet, die irgendetwas mit der Lehre Yip Mans zu tun haben sollte. Er machte sich einen Namen – wie leicht doch so etwas geht in der Welt der "chinesischen Kampfkünste"! Es war die Gelegenheit für Oberguru Kernspecht und seinen Verband, der damals noch eine Randexistenz führte, sich in den Mittelpunkt stilvoller Diskussionen zu rücken: Darf man denn so etwas? Man darf, wenn man die "Ehre" seiner "Kampfkunstfamilie" in "idealistischem Einsatz" bewahren hilft. Und so wurde Emin, der Aggressor, überall herumgereicht als ein netter, feiner, besonders talentierter Junge (natürlich der Führung durch den Ziehvater bedürfend), der so selbstlos seine Gesundheit aufs Spiel gesetzt hatte, indem er sich tollkühn – lediglich gedeckt von sechs oder acht Kerlen, die sich auf diese Aktion generalstabsmäßig vorbereitet hatten, um den älteren Herrn, dem man offenbar doch einiges zutraute, auf jeden Fall zur Strecke zu bringen – in den Kampf stürzte. Und mehr: jenes undefinierbare Herumgewälze wurde nach eingehender Analyse sogar zum Vorbild des "Kampfes in fünf Phasen", der das System WingTsun fortan auszeichnen sollte – Maßstäbe waren gesetzt worden, Entwicklungen vorgezeichnet.

Für Emin, den Proletarier, begann eine Bilderbuchkarriere: er wurde durch "Kampfkunst" zum "Star". Ein Meilenstein war zweifellos die Wahl zum "Fighter of the Year" des Karate-Journals im Jahre 1987 (Kernspecht ließ in allen Schulen Postkarten verteilen, welche die braven WT-Schüler nur noch mit Namen und Unterschrift versehen mußten – alle machten freudig mit, versteht sich): mit nacktem, muskulösem Oberkörper durfte Emin auf dem Titelblatt dieses "Fachmagazins" posieren. Die Kampfkunst-Welt begann Anteil zu nehmen, Interesse erwachte, seine Bekanntheit wuchs. Emin wurde allgegenwärtig: er durfte schnelle Maschinen fahren, sich mit Lederjeans als Sexsymbol (für die unbewußt nach Unterwerfung strebenden EWTO-Mitglieder) präsentieren, mit langer Mähne und Stirnband den anarchischen Freak herauskehren, Blondinen seiner Wahl ausführen und sogar bescheidene Versuche im Filmgeschäft unternehmen (wobei letzteres eher in Zufallsfotos mit abgehalfterten Größen wie Mickey Rourke gipfelte), kurzum: er durfte die tumben Träume des typischen "unterprivilegierten" Jugendlichen aus dem Großstadtghetto ausleben, den primitven Glauben, daß es zu nichts bringe, wer sich nicht aus dem großen Fleischtopf die besten Stücke herausfischt, von purem Sozialneid genährt und in Triumph und Niederlage von Automarken und Goldketten geleitet. In der Tat, er hatte es weit gebracht.

Und sein Ziehvater? Der benutzte ihn. Setzte sich als der Mann hinter den Kulissen, der Meister, der einen offenbar unbesiegbaren Kämpfer wie Emin (die phantastische Zahl von dreihundert Kämpfen wurde in Umlauf gebracht) zu dem gemacht hatte, was er war, geschickt in Szene. Baute die Expansion seines Verbandes, der sich nun zu fünfstelliger Mitgliederzahl aufplusterte, auf Emins Popularität. Und das Werk gelang. Denn der blieb abhängig. Der hatte nicht das Zeug, die Persönlichkeit, die Intelligenz, sich von seinem Lehrer, Förderer und Gefängniswärter freizumachen und in eigener Sache tätig zu werden. Er blieb das, was Despoten vom Schlage Kernspechts brauchen: ein Pferd im Stall; ein dankbarer Diener; ein nützlicher Idiot.

 


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