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AUSGEWÄHLTES GEDICHT
Peli |
Die linke Hand
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Und wieder ein Samstag an dem es mir nicht vergönnt war auszuschlafen. Wie ich diese Abendschule mittlerweile hasste. Warum tat ich mir das eigentlich an? Jeden Freitagabend, jeden Samstagfrüh die immer gleiche Frage, warum??? Missmutig schlug ich zum vierten Mal auf die Schlummertaste meines Radioweckers. Als ich mit dem linken Arm beim Aufstehen gegen den Nachttisch stieß, wurde mir schlagartig wieder bewusst, was anders war. Mein linkes Handgelenk lag in einer Gipsschiene. Ich war so genervt, in meinen Bewegungen behindert zu sein. Nichts funktionierte!!! Warum lagen die Haare eigentlich nicht so, wie ich es wollte? Also Kopf runter - über, einhändig durchbürsten und ein Haarband drüber ziehen. Für meinen Kaffee mal wieder keine Zeit. Oh Mann, mal wieder zu spät! Was blieb mir anderes übrig, als beim Bäcker meiner Wahl reinzuschauen? Einen Donut in die Hand und das Schokobrötchen in die Tasche! Das Kariere Frühstück für die Frau von heute. Die U-Bahn erreichte ich mit einer sensationellen Sprinteinlage. Bis hierhin war es fast ein normaler Samstagmorgen für mich. Ich ließ mich auf den Sitz fallen und versuchte die Atemnot und den beschleunigten Puls zu ignorieren. Ich konnte mich daran erinnern, etwas über autogenes Training gelesen zu haben. Heute früh hätte ich das Wissen gebrauchen können. Was war das denn? Schräg gegenüber saß, mit dem Rücken zu mir, ein junger Mann und lachte. Er lachte aus vollem Herzen und das in einem U-Bahn-Wagen der Dortmunder Stadtwerke an einem Samstagmorgen. Ich schloss meine Augen und lauschte den Freudenausbrüchen. Als ich meine Augen öffnete, ertappte ich mich dabei, wie ein Lächeln meine Lippen umspielte. Mir war recht schnell bewusst, das dieser junge Mann jemand war, den man gemeinhin als geistig behindert bezeichnen würde. Über sein Gesicht erstreckte sich ein großes Feuermal. Ich konnte ihn nicht wirklich anschauen. Sein Vater, der ihm gegenüber saß und in dessen Gesicht ich sehen konnte, schaute ihn versonnen, liebevoll an. Jedes Detail der bisherigen U-Bahn-Fahrt setzte ihn reines Entzücken. Am Hafen fuhren wir in den unterirdischen Teil der Strecke. Seine Freude schien einfach perfekt zu sein. Das helle Lachen gluckste durch den gesamten Wagenzug. Er schaute erwartungsvoll in das Führerhäuschen und begeisterte sich an dem Spiel der aufblitzenden Leuchten des Armaturenbretts. Ich habe vergessen, wie viele andere Bahnen uns in diesen 20 Minuten entgegen kamen. Doch jedem U-Bahn-Fahrer winkte er mit einem herzlichen, enthusiastischen Gesichtsausdruck einen Morgengruß herüber. Ich lachte leise vor mich hin und fühlte, wie mich ein Gefühl der Wärme durchströmte. Wer war denn hier behindert? Irgendwie war alles nicht mehr so wichtig in diesem Moment. Mein zu spät kommen, das Handicap der linken Hand, die schlechte Laune... Alles war wie selbstverständlich verflogen und ich ging voller Übermut in den Unterricht. Danke, du Zauberer, für das Lächeln an einem frühen Samstagmorgen in einer grauen Welt! Heute habe ich den Werbespruch auf den Plakaten endlich verstanden! "Behindert ist man nicht, behindert wird man!"
© by Petra Barenthin - 18.11.00 |
© by Peli |
eingetragen am 09.05.02
Kategorie: Sonstige
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