"Ihr seid jetzt Experten für Trennung und Scheidung!"
29.Juni.2001
Flensburg. "Herzlichen Glückwunsch, Kinder, ihr seid jetzt Experten für Trennung und Scheidung! " Mit diesem Satz verabschiedeten kürzlich die Sozialpädagogen Gerda Fischer und Jürgen Weinhold Kinder der Trennungs- und Scheidungskindergruppe, die von ihnen drei Jahre in der städtischen Erziehungsberatungsstelle betreut wurden.
In den vergangenen Jahren hat sich dort die Zahl der Kinder mit nicht bewältigter Trennungs- und Scheidungsproblematik kontinuierlich erhöht, berichtet Gerda Fischer: "Diese Kinder haben nach der Trennung der Eltern Gefühle von Verlassenheit, Traurigkeit, Hilflosigkeit und Zerrissenheit. Ihr Selbstwertgefühl wird erschüttert, sie entwickeln Ängste, bekommen Schulschwierigkeiten, ziehen sich in sich zurück oder werden aggressiv. Auch Jahre nach der Trennung der Eltern träumen sie von einer intakten Familie und von der Versöhnung ihrer Eltern."
Für betroffene Kinder gab es bis 1998 in Flensburg und Umgebung kein entsprechendes Hilfsangebot. Die städtische Beratungsstelle erarbeitete daher das neue Gruppeninterventionsprogramm, in dem die Veränderungen im Leben der Kinder thematisiert werden. Dabei werden alle betroffenen Bereiche - Familie, Verwandtschaft, Freunde, Wohnort und Schule - einbezogen. Den Kindern soll geholfen werden, ihre veränderte Lebenssituation und ihre neuen Beziehungen zu überblicken, besser zu verstehen und neu zu ordnen. Außerdem können sie lernen, ihre eigene Rolle neu zu finden und mit inneren sowie äußeren Konflikten besser umzugehen.
Seit 1998 wurden jährlich Jahr zwei Gruppenprogramme durchgeführt, mit sechs bis acht Mädchen und Jungen im Alter zwischen neun bis zwölf Jahren. Die Kinder trafen sich in zwölf mal wöchentlich für zwei Stunden.
Die Themen der einzelnen Treffen werden teilweise von den Pädagogen vorgegeben, ergeben sich aber ebenso aus den Schilderungen der Kinder und aus dem Gruppenprozess heraus: "Ich trau mich nicht zu sagen, dass ich Papa öfter sehen möchte", "Ich bin wütend, dass meine Eltern sich getrennt haben" oder "Ich bin enttäuscht über nicht eingehaltene Versprechungen" - das sind nur wenige der dabei zur Sprache gekommenen Probleme.
Gerda Fischer und Jürgen Weinhold setzen die unterschiedlichsten Methoden ein : Rollenspiele, Malen, Pantomime, Phantasiereisen, Skulpturen und das sog. "brainstorming" kommen ebenso zum Einsatz wie Vertrauensspiele, das spielerische Abreagieren von Aggressionen und die Klärung gruppendynamischer Prozesse.
Schnell habe sich gezeigt, so die beiden Pädagogen, dass die Gruppe von den Kindern als geschützter und strukturierter Rahmen mit vereinbarten Vertrauensregeln erlebt und sehr gut angenommen werde. Entgegen der Meinung vieler Eltern, man solle mit den Kindern nicht über die Trennung sprechen, um keine Wunden aufzureißen, bestehe bei Kindern ein großes Bedürfnis, sich über das Thema Trennung der Eltern und die daraus resultierenden Auswirkungen auszusprechen und gegenseitig zuzuhören.
Die Gruppen hätten als "Schicksalsgemeinschaft" schnell ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Die Kinder fühlten sich in ihrer Persönlichkeit von den anderen angenommen und unterstützt. Dadurch hätten sie Mut bekommen, über sehr persönliche Probleme und Gefühle zu sprechen - etwas, was sie in ihrem sonstigen Lebensalltag vermieden hätten. Dies belegten Aussagen wie: "Wie gut, dass es noch andere Kinder gibt, die Probleme mit der Trennung ihrer Eltern haben und dass ich mit Ihnen darüber reden kann", "Hier kann ich alles sagen über meine Gefühle", "Probleme besprechen macht mutiger", "Ich muss lernen, mit der Scheidung der Eltern zu leben" und "Ich hab verstanden, dass ich neue Partner der Eltern hinnehmen muss".
Im Anschluss an die Gruppenarbeit wird auch wieder ein Elterntreffen stattfinden. Damit soll das Einfühlungsvermögen der Eltern in die Situation der Kinder gefördert und gleichzeitig ein Austausch über unterschiedliche Erfahrungen ermöglicht werden.
Für die Pädagogen sind die eigenen Beobachtungen jedoch entscheidend: "Das schönste ist zu sehen, wie die Kinder im Verlauf des Programms freier, offener, mutiger und kreativer wurden. Auch die zurückhaltenden Kinder profitieren offenkundig von den Berichten und Aktivitäten der anderen Kinder", erklärt Gerda Fischer. Und Jürgen Weinhold ergänzt: "Allerdings wurde auch deutlich, dass unser Gruppenprogramm nicht die einzige Möglichkeit sein kann, auf Kinder mit Trennungskonflikten einzugehen. In einzelnen Fällen ist zusätzlich eine intensive individuelle Arbeit mit Kindern notwendig."
Aufgrund der positiven Erfahrung wird die Gruppenarbeit in der Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern fortgesetzt. Die nächste "Trennungs- und Scheidungskindergruppe" beginnt nach den Herbstferien. Weitere Auskünfte gibt es bei der Erziehungsberatungsstelle unter Tel. 85-2129. - StFlru -
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